Dorfbrunnen

Simpilerdialekt - Simpilärtiitsch

 

«Iischä Dialäkt» - unser Dialekt, wie er auf der Simplon Südseite (in den Gemeinden Simplon und Zwischbergen) gesprochen wird bzw. gesprochen wurde, gehört wie die übrigen deutschen Walliserdialekte zur höchstalemannischen Dialektgruppe, die sich von den übrigen Schweizerdeutschen Mundarten in vielerlei Hinsicht unterscheidet. Auch die Walliserdialekte weisen wiederum je nach Region oder sogar Gemeinde bemerkenswerte Lautdifferenzen auf, die oft im unterschiedlichen Grad einer eigenen Lautverschiebung (Aufhellung: u>ü, o>ö und Entrundung: ü>i, ö>e) zu erklären sind. Ausführlichere Erläuterungen dazu sind auf der Webseite von Volmar Schmid www.walliserdialekt.ch zu finden. Eine kurze Formenlehre (Morphologie) zum «Simpilärtiitsch» befindet sich im Buch «Einheimische erzählen» auf den Seiten 146 - 156. Da dieses im Jahr 1985 erschienene Buch leider vergriffen ist, kann es auch auf dieser Webseite elektronisch hochgeladen werden.

In der nachfolgenden Darstellung werden die charakteristischen Merkmale «vam Simpilärtiitsch» anhand ausgewählter Beispiele aufgelistet und anderen Dialekten gegenübergestellt.

 

Charakteristische Lautmerkmale:

 

german. s ˃ sch:

öisi, Müüs, Hüüsli  ˃  iischi, Miisch, Hiischi

(Deutschschweiz)       (Simplon)

 

nk nach Vokalen a, e, i ˃ ch:

Bank, schenke, trinke  ˃  Baich, scheichu, triichu

(Deutschschweiz)                (Simplon)

 

rn ˃ ru:

moorn, gäärn, Zoorn  ˃ mooru, gääru, Zooru

(Deutschschweiz)             (Simplon)

 

ö(ö) > e(e):

böös, Ghöör, Hööchi  ˃ beesch, Gçheer, Heeji

(Deutschschweiz)            (Simplon)

 

ää / ee:

Simplon:         schwäär, Çhääs, läär

westl. ObVS:  schweer, Chees, leer

 

e / ä:

Simplon:         pçhennu, Hentschu, Henna

westl. ObVS:  kännu, Häntschu, Hänna

 

iisch / insch:

Simplon:         iischä, iischi

Goms:             inschä, insch

 

Genitivformen:

miischi Psinnusch, eischi Tagsch, ds Vattärsch

meines Besinnens, eines Tages, des Vaters

 

Heute: Gebrauch der Genitiv-Formen schwindet zunehmend!

 

ui-Laut (uu>uü>ui):

Teilaufhellung des althochdeutschen uu-Lauts zu mit Entrundung des aufgehellten ü zu i. Die Betonung liegt auf dem u-Laut.

Davos: Muus, Huus / Simplon: Muis, Hui

Rhonetal: Müüs, Hüüs / Bosco-Gurin: Müis, Hüis

 

Heute: Zunehmende Anpassung an das Rhonetal, siehe Schülerumfrage unten!

 

uo, ua, uä-Laut:

Althochdeutscher uo-Laut, der je nach Konstellation der Nachbarlaute meist zu oder ua umgewandelt wird. Die Betonung liegt auf dem u-Laut.

Simplon: Buobu, Bbi, uacha, Muama, Mmi, Mtär, guot, gti

Mund: Büob / Glis: Büöb / Goms: Büèb / Bosco-Gurin: Büab

 

Heute: Während die mittlere Generation meist noch am uä-Laut festhält, passen sich die Jungen zunehmend an das Rhonetal an, siehe Schülerumfrage unten!

 

oi-Laut (ou>oü>oi):

Teilaufhellung des althochdeutschen ou-Lauts zu mit Entrundung des aufgehellten ü zu i. Die Betonung liegt auf dem o-Laut.

 

Rheinwaald: louffe, Boum / Simplon: loiffu, Boim

Rhonetal: löüffe, Böüm / Bosco-Gurin: löiffa, Bömm

 

Heute: Zunehmende Anpassung an das Rhonetal, siehe Schülerumfrage unten!

 

ouww-Laut:

Falls dem ou-Laut ein «w» folgt, wird «u» reduziert ausgesprochen und «w» wird verdoppelt.

 

Rheinwald: Loubenä / Simplon: Louwwina

Rhonetal: Löüwwina / Bosco-Gurin: Löuwwanu

 

Heute: Die Anpassung an das Rhonetal erfolgt bei den Jungen zögerlich!

 

aä-Laut:

Er wurde bei einzelnen Familien bis um die Jahrhundertwende noch sporadisch verwendet (besonders in Zwischbergen), ist heute aber kaum mehr zu hören.

 

Simplon, Zwischbergen: chaält, Jaär, jaä

 

çh-Laut:

Er entsteht durch Palatalisierung der Konsonantengruppen ch, gch (k) vor e, i und meistens auch ä: Durch das Anheben des Zungenrückens in Richtung Vordergaumen verändert sich der krachende ch-Laut zum weichen çh-Laut und wird fast wie «sch» ausgesprochen.

 

Bsp.: Çhääs, çhewwu, Çhirli, Çhillcha, Chuçhi; aber: Chatza, choru, Chudla, chrampfu, chlei, Achra, usw.

 

Der weiche çh-Laut ist heute fast nur mehr bei den ältesten Leuten zu hören. 

 

tçh-Laut:

Steht vor dem weichen çh-Laut ein g (gçh), wird daraus oft ein tçh-Laut (Dentalisierung).

 

Bsp.: tçheeru, tçhiju, tçhästatt gçheeru, gçhiju, gçhä

 

Heute sind fast nur mehr gutturale Formen in Gebrauch.

 

gutturale und dentale Formen nebeneinander in Gebrauch:

Bsp.: värzell dum Mangji gçhei Lugji <=> värzell dum Mandji tçhei Ludjinä (erzähle dem Männlein keine Lügen);

nit folgä und luggji Chnew pärchú <=> nit foldjä und luttji Chnew pärchú (nicht gehorchen und weiche Knie bekommen).

 

Heute sind fast nur mehr gutturale Formen in Gebrauch.

 

l- und r-Verdoppelungen unbetonter Nachsilben:

Bsp.: schítillu, Gríttilla, Vättärra

 

Heute hört man diese Verdoppelungen nur mehr bei den ältesten Leuten.

 

ä-Vorschlag bei «r»:

Wörter mit «r» am Wortanfang erhalten oft einen ä-Vorschlag, bei manchen Personen hat dies auch ein stärker rollendes «r» zur Folge.

Bsp.: äríchtig, ärríchtig, äRíggsack, äRríggsack.

Dieses Phenomen kann auch im Wortinneren auftreten: ánggreist, ánggäreist, ánggärreist / uifriibu, uifäriibu, uifärriibu / preiku, päréiku, pärréiku

 

Der ä-Vorschlag ist heute nur mehr bei den ältesten Leuten zu hören.

 

m-/n-Gleit- und Übergangslaute:

Wörter und Wortzusammensetzungen werden fakultativ durch Gleit- oder Übergangslaute miteinander verbunden, um das Aufeinanderstossen zweier Vokale oder eines Vokals mit den Konsonanten b, g, k, p, t, z zu vermeiden:

nach Wortauslaut (hochgestellte Schreibweise, da nicht Wortendung):

Bsp. dum Bodun uis gçhiju (zu Boden fallen), schii hend mu du Hafun gschtolu (sie haben ihm den Hafen gestohlen)

bei Wortzusammensetzungen (normale Schreibweise): Çhillchumpoort (Kirchentür), Aichumbroot (Butterbrotschnitte).

 

Die Gleit- und Übergangslaute sind heute am Verschwinden.

 

Das langsame Sterben unseres Dialekts

 

Jede Sprache verändert sich im Lauf der Zeit, so auch das Simpilärtiitsch! Ohne sich hier auf die Phänomene des Sprachwandels näher einzulassen, darf doch festgehalten werden, dass der fortschreitende Wandel einen Zusammenhang mit der gesellschaftlichen Veränderung hat, den wir nicht aufhalten können. – Ein sorgsames und selbstbewusstes Verhalten wird meiner Meinung nach aber wohl trotzdem angebracht sein!

Auf dieser Webseite wird versucht, das Simpilärtiitsch so festzuhalten, wie es auf der Simplon Südseite mehrheitlich noch bis in die 1980er Jahre gesprochen wurde und bei älteren Leuten auch heute noch (anno 2022!) zu hören ist. In mehr als vier Jahrzehnten hat der Autor zusammengetragen, was ihm die ältere Generation von Simplon und Zwischbergen (Jahrgänge 1893 – 1953) zu berichten wusste. Daraus sind ein paar Publikationen entstanden, die hier weiter ergänzt und verlinkt werden sollen.

Nachfolgend eine Zusammenstellung zweier Schülerumfragen in Simplon Dorf, die 1981 und 2012 unter fachkundiger Begleitung der einheimischen Lehrpersonen Stefanie Rittiner, Lukas Arnold und Manfred Escher durchgeführt wurden. Ihnen allen ein herzliches Värgältsgott! Die Auswertung lässt deutlich erkennen, wie sich der einheimische Dialekt in den letzten Jahrzehnten bei den Jugendlichen dramatisch verändert hat.

 

So haben die Schüler damals ihre eigene Anwendung vam Simpilärtiitsch beurteilt:

 

An der Umfrage von 1981 nahmen 49 Schüler der Jahrgänge 1964 - 1974 teil.

   43 Muis                  1 Müüs                      5 switchen

   44 Buäb                 1 Büäb                       4 switchen

   44 Oig                    1 Öüg                         4 switchen

     0 Çhääs             49 Chääs                      0 switchen

  14 Hopschu        19 Frosch                    16 switchen

  13 Pfiiffoltra        24 Schmättärling       11 switchen

  14 Uistag             28 Fruäling/Früäling    6 switchen

  17 Ettro          (Begriff bekannt, ausser Gebrauch)     

  15 Muäma     (Begriff bekannt, ausser Gebrauch) 

 

An der Umfrage von 2012 nahmen 21 Schüler der Jahrgänge 1996 - 2005 teil.

    4 Muis                 13 Müüs                        4 switchen

    6 Buäb                  9 Büäb                         6 switchen

    5 Oig                   12 Öüg                           4 switch

    2 Hopschul         16 Frosch                      3 switchen

    2 Pfiiffoltra         15 Schmättärling         4 switchen

    4 Uistag              17 Fruäling/Früäling    0 switchen

  10 Ettro          (Begriff bekannt, ausser Gebrauch)   

    8 Muäma     (Begriff bekannt, ausser Gebrauch)

 

Fazit: Man braucht kein Prophet zu sein, um zu erkennen wohin diese Entwicklung führen wird! Obwohl unser Dialekt in wenigen Jahrzehnten bis zur Unkenntlichkeit verwässert sein wird, so gehört er doch zumindest ins Bewusstsein unserer kulturellen und geschichtlichen Vergangenheit. Es wäre wünschenswert, wenn diese Webseite wenigstens in dieser Hinsicht einen kleinen Beitrag leisten könnte.

 

Simplon, Januar 2022                                 Erich Jordan

 

 

 

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